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Kalkar

„Mögen Jahrtausende vergehen, man wird nie von Heldentum reden können, ohne des deutschen Soldaten im Weltkrieg zu gedenken“

(Inschrift am NS-„Kriegerdenkmal“ in Kalkar, basierend auf einem Zitat aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ )

von Hans Hesse

Am 28. April 2015 beschloss der Stadtrat Kalkars mit einer Gegenstimme folgende Resolution die Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers betreffend:

“1. Die  Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers ist mit seinem Tod erloschen. Dies ist  ausdrücklich in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses vom 17.7.2003 bestätigt worden.

2. Der Rat der Stadt Kalkar distanziert sich in aller Form vom Beschluss der Kalkarer Gemeindevertretung vom 2.5.1933, Reichskanzler Adolf Hitler unmittelbar  nach der Machtübergabe zum Ehrenbürger der Stadt Kalkar zu ernennen. Der damals einstimmig gefasste Beschluss ist ein historisches Faktum und  gehört deshalb aus heutiger Sicht zu den dunkelsten Kapiteln der lokalen Geschichte. Deshalb bekräftigt der Kalkarer Rat nachdrücklich, dass  Adolf Hitler der Ehrenbürgerwürde Kalkars unwürdig war. Gerade in einer Zeit vermehrter Fremdenfeindlichkeit und neonazistischer Aktivitäten sowie aktueller Übergriffe auf Migrantenunterkünfte ist es uns wichtig, diese Klarstellung vorzunehmen.”(zitiert nach: http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-kleve-und-der-region/adolf-hitler-ist-kein-ehrenbuerger-der-stadt-kalkar-mehr-id10619266).

Der „Kurier am Sonntag“ titelte am 29. April 2015 zu dieser Ratsresolution: „Kalkars brauner Fleck: Rat erklärt Hitler für unwürdig Ehrenbürger zu sein“ (Zitiert nach: http://www.kurier-am-sonntag.de/lokales-sp-16783/kleve-kalkar-kranenburg-bedburg-hau/9344-kalkars-brauner-fleck-rat-erklaert-nochmal-warum-hitler-die-ehrenbuergerschaft-nicht-entzogen-wird%22). Hitler hat zwar Kalkar nie besucht, und er ist nun oder schon länger auch von der Ehrenbürgerliste getilgt, ist er aber damit tatsächlich gänzlich verschwunden? Nein, denn überraschenderweise ist Adolf Hitler in Kalkar präsenter als die bloße Ehrenbürgerwürde vermuten lässt. Seit Jahrzehnten, bis heute. Auf dem „Kriegerdenkmal“ in Kalkar, das 1936 eingeweiht wurde und heute an die getöteten Soldaten des I. und II. Weltkriegs erinnert, ist auf der Vorderseite die Inschrift zu lesen: „Unseren Helden“. Rückseitig befindet sich eine weitere Inschrift. Sie lautet: „Mögen Jahrtausende vergehen, man wird nie von Heldentum reden können, ohne des deutschen Soldaten im Weltkrieg zu gedenken.“ Ein Urheber dieses Zitats wird auf dem Denkmal nicht angegeben. Die Quelle der Inschrift basiert auf einer Textstelle aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Dort lautet es wie folgt: „Mögen Jahrtausende vergehen, so wird man nie von Heldentum reden und sagen dürfen, ohne des deutschen Heeres des Weltkrieges zu gedenken.”

Der „braune Fleck“ Kalkars befindet sich mithin an einem der zentralsten Punkte der Stadt. Und Aussprüche Hitlers hält man offenkundig für würdig, an einem Denkmal zitiert zu werden.

Jahrzehntelang ist dies nicht aufgefallen? Oder hat sich – offenkundig bis heute – niemand daran gestört?

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Abb. 1: Ausschnitt vom NS-”Krieger”-Denkmal in Kalkar. Foto: Hans Hesse/Elke Purpus.

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Abb. 2: NS-”Krieger”-Denkmal in Kalkar, Vorderansicht. Foto: Hans Hesse/Elke Purpus.

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Abb. 3: NS-”Krieger”-Denkmal in Kalkar, Rückseite mit der Inschrift. Foto: Hans Hesse/Elke Purpus.

Nun, nachdem der Rat Kalkars die Resolution bezüglich der Ehrenbürgerschaft Hitlers beschlossen hat, muss auch der nächste Schritt getan und eine intensive Diskussion über den eigentlichen „braunen Fleck“ Kalkars, über das Denkmal begonnen werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Entwicklung in Kalkar erstaunlich, zumal die Verwaltung seit September/Oktober 2014 um diese Inschrift weiß.

Ein ausführlicherer Text ist als ebook erschienen und ist überall dort, wo ebooks gekauft werden können, erhältlich (also amazon, thalia, hugendubel, buch.de, usw.): Hans Hesse, "Mögen Jahrtausende vergehen, man wird nie von Heldentum reden können, ohne des deutschen Soldaten im Weltkrieg zu gedenken", eBook, ISBN 9783734790843, zum Preis von 0,99€.

Ein Aufsatz behandelt das Thema ebenso:

- Hesse, Hans/Purpus, Elke, „Der Wächter an der Landesgrenze“. Willy Mellers gescheiterter Denkmalentwurf 1934 für Kalkar. Ein Beitrag zur NS-Gedenkpolitik zum I. Weltkrieg, in: Jahrbuch des Frechener Geschichtsvereins e.V., Bd. 11/2015, S. 202–214.

Reaktionen:

Zunächst berichtete die Rheinische Post am 9. Mai 2015 über meine Feststellungen.

Vermutlich wegen des Wahlkampfes tat sich dann über ein halbes Jahr lang nichts.

Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Bürgermeisterin war es, die jährliche Gedenkveranstaltung am Totensonntag in Kalkar am 22.11.2015 zu verlegen. Sie begann auf dem Marktplatz und führte zum Mahnmal für die ns-verfolgten jüdischen Mitbürger am Teich, wo - wie auf dem Soldatenfriedhof - ein Kranz niedergelegt wurde (Bericht in der Rheinischen Post v. 23.11.2015). Laut Rheinischer Post hielt die neue Bürgermeisterin es wegen der Inschrift “für unmöglich”, am alten Mahnmal “ein ehrendes Gedenken zu veranstalten.”

Auch die WAZ berichtete am 21.11.2015 über das Thema. Hierzu zwei Anmerkungen: In dem Artikel wird erwähnt, dass das NS-Kriegerdenkmal 1938 eingeweiht wurde; das ist falsch, es war 1936. Zudem wird gesagt, dass “zu Beginn des Jahres” (2015) die Inschrift der Verwaltung bekannt geworden sei; ich habe den damaligen Bürgermeister Anfang Oktober 2014 per Email angeschrieben und ihn auf die Inschrift aufmerksam gemacht. Eine Reaktion von der Stadt kam Anfang November 2014, rund 14 Tage vor dem Totensonntag, der 2014 auf den 23.11.2014 fiel.

Der Kulturausschuss der Stadt Kalkar hat nun in Sachen seines NS-Kriegerdenkmals entschieden: Der Spruch von Hitler bleibt dran, das Denkmal soll mit Fotos und erläuternden Texten versehen werden (s. Meldung in der Rheinischen Post v. 12.5.2016, waz v. 12.5.2016). Die Frage ist: Werden nun wieder Gedenkveranstaltungen an diesem NS-Kriegerdenkmal abgehalten, womöglich verknüpft mit dem Gedenken an NS-Opfer? Zudem ist vorgesehen, dass aus dem ehemaligen Aufmarschplatz aus der NS-Zeit vor dem Denkmal nun ein “Platz der Begegnung” wird, mit Boule-Bahn und eventuell Fitnessgeräten ... In dem Artikel war auch zu lesen, dass das NS-Kriegerdenkmal nun als ein “historisches Zeugnis” angesehen wird. Es wird sehr interessant sein zu sehen, wie die Stadt auf den geplanten Tafeln begründen will, dass man den Hitler-Spruch für so wichtig hält, dass man ihn belässt, überhaupt insgesamt an dem NS-Kriegerdenkmal unbeachtet der Geschichte festzuhalten gedenkt. Wofür soll dieses Denkmal denn Zeugnis ablegen? Immerhin hatte die Stadt bis 2014 keine Bedenken, an diesem NS-Kriegerdenkmal ihre Gedenkveranstaltungen durchzuführen. Ist das Zeugnis also der sorglose  - oder soll man sagen: ahnungslose - Umgang nach 1945?

Nach einem Jahr Pause gibt es jetzt Neuigkeiten zum NS-Kriegerdenkmal: Statt wie beschlossen Hinweistafeln zu errichten, gibt’s jetzt einen Text im Internet. Dazu gibt es eine sehr schöne Formulierung in der Rheinischen Post v. 25.5.2017: “Wer nur durch den Stadtpark spaziert, dort Boule spielt oder seinen Kindern beim Toben zusieht, muss sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen.” Vgl. auch den Bericht in der NRZ v. 24.5.2017.

Der Text ist im Stile einer Tafel, wie man so an vielen historischen Bauwerken findet, verfasst: “Burg XY, erbaut von N.N. im Auftrag von Herzog N.N. Erweitert im ?? Jahrhundert. Abgebrannt am Soundsovielten. Wieder aufgebaut am Soundsovielten. Die Stadt N.N.”

In diesem Text, der so etwas wie eine Blaupause für die späteren Tafeln sein soll, fehlt völlig die Distanzierung der heutigen Stadtspitze von den Initiativen der damaligen Stadtspitze.

So fehlt z.B. eine Ächtung dieses ‘Denkmals’ als Gedenkort für die Zukunft nebst Begründung, und es fehlt - als Konsequenz aus all dem - ein neues Gedenkzeichen.

Oder will man es etwa dabei belassen, dass den gefallenen jüdischen Soldaten nicht ehrenhaft gedacht wird, weil ihre Namen an einem NS-”Krieger”-Denkmal prangen, errichtet von den Mitgliedern der Stadtspitze, die ihre Familien ermordet haben? (Vgl. hierzu Hesse, Hans, Stolpersteine. Idee.Künstler.Geschichte.Wirkung, Essen 2017. S. 349-352).

Neues Kapitel im Kalkarer Denkmalstreit

Ende Juli hat der Klever Künstler Wilfried Porwol das Kriegerdenkmal zum Gegenstand einer nicht genehmigten Installation als temporäre künstlerische Intervention im öffentlichen Raum gemacht. Er übermalte insbesondere das Hitler-Zitat mit den Worten “Nie wieder Faschismus” (vgl. Artikel in der WAZ v. 28.7.2019). Eine Aktion ähnlich der von Wolfram Kastner (vgl. www.deutschlandfunkkultur.de/aktionskuenstler-wolfram-kastner-sachbeschaedigung-im-namen.1013.de.html?dram:article_id=400836). Porwol habe darauf aufmerksam machen wollen, dass bislang nichts geschehen sei (Rheinische Post  v. 29.7.2019).

Die Stadt entfernte umgehend die “Sprayaktion” und machte damit u.a. das Hitler-Zitat wieder lesbar. Zudem stellte sie eine Anzeige wegen Sachbeschädigung.

Offenbar wurde das NS-”Kriegerdenkmal” nach der ersten Reinigung erneut bemalt. Der Künstler sagte, dass er mit dieser 2. Bemalung nichts zu tun hätte. Porwol erinnerte an das Hitler-Zitat auf der Rückseite des NS-”Kriegerdenkmals”. Es sei für ihn eine “strafbare Duldung nationalsozialistischer Kriegsverherrlichung durch die Stadt Kalkar” (Zitate unter lokalkompass.de, dort sind auch die beiden Bemalungen des NS-”Kriegerdenkmals” zu sehen). Diese zweite Bemalung wurde vorerst  nicht entfernt.

In der Zwischenzeit hat sich der Klever Künstler Max Knippert in einem Schreiben an die Bürgermeisterin mit der “Sprayaktion” Porwols solidarisch erklärt. Unterdessen fordert die AfD die Sanierung und den Erhalt des NS-”Krieger”-Denkmals (Rheinische Post v. 3.8.2019).

Wie der Internetseite der Stadt zum Denkmal entnommen werden kann, ist bis heute eigentlich nicht geklärt, wer die Hinzufügung des Hitler-Zitats beschlossen und wer sie ausgeführt hat. Im Grunde könnte man daraus schließen, dass das Hitler-Zitat selber nicht genehmigt war und ist und somit eine Sachbeschädigung darstellt.

Nunmehr gibt es einen neuen Termin für die Info-Tafel: Frühjahr 2020. Nachdem sich die Deutsche Friedensgesellschaft, Ortsgruppe Kleve,  in einem offenen Brief nochmals über die Untätigkeit beschwert hatte, hat die Stadt die Tafel für das Frühjahr 2020 in Aussicht gestellt.

Aber: Anlässlich des Gedenkens zum 8. Mai 2020 hat der Klever Künstler Wilfried Porwol das Kriegerdenkmal erneut bemalt. Die erneute nicht genehmigte Installation als temporäre künstlerische Intervention im öffentlichen Raum hat einige wichtige Erweiterungen. Hierzu gehört das Kalkarer Stadtwappen, das ein stilisiertes durchgestrichenes Hitlerporträt zentral platziert schmückt. Ein Hinweis auf die ehemalige Ehrenbürgerschaft Hitlers? Auf der Rückseite des Kriegerdenkmals ist das Hitler-Zitat mit einen durchgestrichenen Hitler-Totenkopf und der Aufschrift “Weg damit” unlesbar gemacht worden.

Der Künstler möchte mit dieser “Umgestaltung des Nazi-Kriegerdenkmals zu einem Friedensmahnmal” erneut auf die immer noch ausstehende Distanzierung der Stadt von diesem Objekt aufmerksam machen (vgl. Settnik, Anja, Kriegerdenkmal erneut “umgestaltet”, in: Rheinische Post v. 12.5.2020, S. C2). Eine Erklärung des Künstlers wurde im Lokalkompass abgedruckt (s. a. das Interview in der Jungen Welt v. 15.6.2020).

Die Aufstellung zweier Tafeln wurde nun für Ende Mai/Anfang Juni in Aussicht gestellt (Gebbink, Andreas, Sprayer malte Hitler-Porträt auf Kalkarer Stadtwappen, in: IKZ-online v. 9.5.2020). Sie sollen das Denkmal “historisch einordnen” (Preuten, Niklas, Kriegerdenkmal wird versiegelt, in : NRZ v. 16.5.2020, S. NKL 04).

Ob dann aus dem NS-Kriegerdenkmal ein  “Mahnmal gegen die schrecklichen Verbrechen” geworden ist, wie Bürgermeisterin Dr. Britta Schulz in der Presse zitiert wird?

Andreas Gebbink konstatierte derweil in einem Kommentar in der NRZ (Neue Ruhr Zeitung) v. 16.5.2020, dass “dieser Nazi-Klotz eine Schande für Kalkar” sei und regte die Entfernung des Denkmals an.

Tafeln aufgestellt (und ein neues Graffiti) - Auftakt für eine neue Phase der Auseinandersetzung

Am 26. Juni 2020 wurden nun zwei Tafeln aufgestellt (offenbar ohne Pressemitteilung und ohne Vorstellung der Tafeln). Damit wurde eine neue Phase der Auseinandersetzung mit diesem Objekt eingeleitet. Die Markierung dieses Orts durch die Tafeln trennt das Objekt nunmehr offiziell von seiner Funktion als “Krieger”denkmal ab. Es wurde gewissermaßen historisiert.

Wesentliche Neuerung ist der Abschnitt “Heute” auf der zweiten Tafel. Darin wird beschrieben, dass die Gedenkfeiern “für die Opfer von Krieg und Gewalt” auf den Städtischen Friedhof verlegt wurden. Als Begründung dafür, das “Denkmal unverändert zu belassen”, wird angeführt, dass der Rat dies entschieden habe, “um die kritische Auseinandersetzung mit ihm, seiner Entstehungsgeschichte und seiner kriegsverherrlichenden Aussage zu ermöglichen und so eine demokratie- und friedensfördernde Wirkung zu erzielen.” Ich habe im Moment noch keinen Nachweis für einen solchen Beschluss des Rates in den im Internet zugänglichen Protokollen gefunden.

Interessant ist weiterhin, dass die Anlage als “Gedenkstätte” bezeichnet wird.

Ohne Zweifel stellt die Verlegung des Gedenkens an einen anderen Ort eine Distanzierung von dem alten Denkmal dar. Die Tafeln dokumentieren dies zudem öffentlich. Eine etwaige erneute Aufnahme von Gedenkveranstaltungen an diesem Ort im Rahmen der “Gedenkfeiern für die Opfer von Krieg und Gewalt” ist nicht mehr vorstellbar, so lange diese Tafeln dort stehen.

Stattdessen wurde diesem Ort nun eine neue Funktion zugewiesen, die allerdings zum jetzigen Zeitpunkt mehr eine Hoffnung als konkretes Handeln ist. Demnach möge die “Gedenkstätte” eine kritische Auseinandersetzung fördern, um so eine “demokratie- und friedensfördernde Wirkung zu erzielen.”

Um dies zu erreichen, ist jedoch mehr nötig, als die Aufstellung der Tafeln und die Verlegung des Gedenkens. Anlässe gäbe es genug, etwa die Frage, wie mit den Namen der auf dem Objekt genannten gestorbenen Soldaten umgegangen werden soll.

Man kann sich fragen, ob nicht eine schärfer formulierte Distanzierung möglich und nötig gewesen wäre; man kann sich fragen, ob das fast bloße Zurschaustellen von derartig inkriminierten Objekten ausreicht, um eine “demokratie- und friedensfördende Wirkung zu erzielen”. Die kriegsverherrlichende Symbolik des alten Denkmals teilt sich nicht durch bloßes Angucken jedem Betrachter - quasi selbstverständlich - mit, sondern muss durch Beschreibung, Analyse, Interpretation und Einordnung herausgearbeitet werden.

Andererseits steht ohne Zweifel fest, dass ein Anfang gemacht wurde - der die Erwartung auf mehr weckt und somit ein Versprechen für die Zukunft ist.

Die bisherige Auseinandersetzung hat an dem alten Denkmal Spuren hinterlassen. Und es gibt ja auch ein neues Graffiti des Künstlers Wilfried Porwol (vgl. Klever Wochenblatt v. 28.6.2020, 22:49Uhr), das den Betrachter schmunzeln lässt. Es ist eine ‘Fußnote am Rand’, von der man hoffen möge, dass sie erhalten bliebe (stattdessen wird es wohl wieder eine Anzeige geben, vgl. Hoyer-Holderberg, Astrid, Wilfried Porwol sieht das Denkmal “angepisst”, in: NRZ v. 30.6.2020, S. 3 und Plüm, Markus, Urinierender Hund prangt auf Kriegermal, in: Rheinische Post v. 30.6.2020, S. C3).

Indessen werden die Info-Tafeln von dem Kunsthistoriker Ron Manheim vom Verein “Haus der Begegnung - Beth HaMifgash” in Kleve scharf kritisiert. Seine Kritik mündet in der Forderung, die Tafeln “unverzüglich” zu entfernen (zum Nachlesen vgl. NRZ v. 30.6.2020 und Rheinische Post v. 1.7.2020, S. C1).

Ahnungsloses Gedenken?

Was an diesem ganzen Vorgang über alle Maßen verstört, ist die Ahnungslosigkeit der Stadt  über ihr eigenes Denkmal. So ist aus den bisherigen Veröffentlichungen (auf den Internetseiten der Stadt und nun auf den Tafeln)  nicht ersichtlich, wie es eigentlich zu dem Hitlerzitat auf dem Denkmal kam.

Ahnungslos nutzte die Stadt jahrzehntelang dieses Denkmal als zentralen Gedenkort.

Diese Ahnungslosigkeit wiederholt sich. Nun ist z.B. auf den Info-Tafeln zu lesen, dass sich “in den Akten des Bauamtes der Stadt Kalkar” ein “knapper Hinweis” befände, dass im “Frühjahr 1983 [...] an der Vorderseite des Sockels in Relief die Jahreszahl 1939-1945 angebracht worden sei, um auch der Gefallenen des 2. Weltkrieges zu gedenken. Weitere Informationen zu diesem Vorgang sind nicht bekannt.”

1983, knapp 40 Jahre nach Kriegsende, erklärt eine Stadt die Gefallenen des II. Weltkriegs mehr oder weniger zu “Helden”, ohne dass es eine Diskussion gegeben habe, so dass ein “knapper Hinweis” ausreicht, als sei dies eine Lappalie? Dies ist ein bemerkenswerter Vorgang, den man eigentlich in die 1950er Jahre verorten würde, 1983 aber wirkt er seltsam anachronistisch, rückwärtsgewandt, mit dem Hitler-Zitat durchaus ewiggestrig.

Soll man aus diesen Ahnungslosigkeiten schließen, dass es in der Stadt Kalkar Verselbstständigungen gibt in der Art, dass mal ein Zitat aus Hitlers “Mein Kampf” an einem Denkmal hinzufügt wird, mal eine Weiterwidmung auf den II. Weltkrieg erfolgt, ohne dass im Nachhinein nachvollziehbar ist, wer das angeordnet hat?

Vermeintliche “Schmierereien” werden sofort entfernt, nicht erklärbare Inschriften bleiben dran. Stellt ein “knapper Hinweis” in den Bauamtsakten tatsächlich eine Legitimität dar? Muss ein Hitler-Zitat an einem Denkmal dranbleiben, selbst wenn man nicht erklären kann, wie es eigentlich da hingekommen ist?

Ist es wirklich glaubwürdig, dass die Stadt nicht weiß, was an ihrem Denkmal geschieht und wer was anordnet und warum? Ein selektiver Gedächtnisverlust, der fatal an das Nicht-Wissen-Wollen über die NS-Verbrechen in den 1950er Jahren erinnert.

Wesentliche und zentrale Fragen zu dem Denkmal bleiben nach wie vor unbeantwortet, und es ist nicht abzusehen, dass hier irgendwann seitens der heutigen Verantwortlichen eine Aufklärung angestrebt wird. Ein aktiver Aufklärungswille ist nicht erkennbar. Leider.

Prozeß - und nun?

Am 7. Dezember 2020 wurde der Künstler Wilfried Porwol vom Amtsgericht Kleve wegen “gemeinschädlicher Sachbeschädigung” zu 900€ verurteilt (Rheinische Post v. 8.12.2020, S. 19).

Nun forderte der 21jährige Jannik Berbalk, “Fridays for Future”- und “Aufstehen gegen Rassismus Kreis Kleve”-Aktivist, in einem offenen Brief an die Kalkarer Bürgermeisterin Britta Schulz die Entfernung des “Kriegerdenkmals”. In einer Anregung nach §24 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen fordert er des Weiteren die Errichtung einer “Erinnerungsstätte für die Opfer des Holocausts und des NS-Regimes”, sowie einer Erinnerungstafel “für die Schrecken und das Leid welche beide Kriege verursachten”, sowie eine Gedenktafel für die Opfer dieser Kriege. Außerdem solle die Stadt Kalkar an dem Platz, an dem das “Kriegerdenkmal” stand, eine “historische Erinnerungstafel” erstellen, in der die Geschichte des Denkmals “kritisch” aufgearbeitet und “historisch” wiedergegeben wird (Lokalkompass v. 8.12.2020).

Derweil wurde  am 8. Dezember 2020 bekannt, dass fünf STOLPERSTEINE in Kleve, Marktstraße 24, mit Hakenkreuzen beschmiert wurden.

Es steht zu befürchten, dass diese Schändungen, im Gegensatz zu der Kunstaktion am Kalkarer NS-”Kriegerdenkmal”, nicht geahndet werden, weil die Täter, wie so häufig in diesen Fällen, nicht ermittelt werden können.

Auffälligerweise wurden dieselben STOLPERSTEINE wenige Tage nach der Verlegung am 21. Oktober 2020 schon einmal beschmutzt. Ermittlungen des Staatsschutzes gingen allerdings davon aus, dass es sich nicht um eine mutwillige Beschädigung handelte. „Vielmehr habe starker Regen kurz nach der Verlegung der Steine den noch recht frischen Mörtel aufgeweicht, so dass dieser auf der abschüssigen Straße verlaufen sei. Eine Straftat wird von den Behörden demnach ausgeschlossen.“ (Rheinische Post v. 19.11.2020, Geldern, S. 15). Man könnte fast den Eindruck haben, dass die damaligen Täter mit dieser Einschätzung nicht einverstanden waren und es nun eindeutiger zu einer Schändung machten.

Der Prozess hat das absurde und groteske an dieser Situation vollends deutlich gemacht: Die Wiederherstellung des Hitler-Zitats kostete 541,40€! Es künstlerisch fantasievoll zu verhüllen ist “gemeinschädliche Sachbeschädigung”. Selbst der Staatsanwalt musste einräumen, dass der Stadt Kalkar vozuwerfen sei, “sich nicht ausreichend mit der Sache auseinandergesetzt zu haben” (zitiert nach Hermsen, Stephan, Nazi-Denkmal übermalt - und verurteilt, in: NRZ v. 8.12.2020. Der Autor schreibt in dem Artikel, der “Historiker Hans Hesse sei von der Stadt Kalkar beauftragt” gewesen. Das ist falsch. Die Stadt Kalkar hat mich zu keinem Zeitpunkt zu irgendwas beauftragt!). Der Künstler zieht dann auch folglich folgendes Fazit: “Die Übermalung eines öffentlich zur Schau gestellten Hitlerzitats ist also gemeinschädlich, die Wiederherstellung der Nazi-Propaganda dagegen gemeinnützlich.”

Der Künstler Porwol geht in die Berufung, ein Spendenkonto wurde eingerichtet, ein Solisong veröffentlicht und die Bürgermeisterin von Kalkar erwartet eine neue Debatte (vgl. Artikel von Hermsen, Stephan, in der NRZ v. 17.12.2020).