Frierende
Frierende

Tetzner, Charlotte, Frierende. Mit Zeichnungen und Holzdrucken von Heinz Tetzner, hrsgg. von Hans Hesse, 108 S., 18 Abb. und 20 Tafeln, ISBN 3-89861-345-3,   17, 90 €.

Charlotte

„Aus einer Baracke hörte ich Musik. Ich ging zum offen stehenden Eingang und sah und hörte eine Geigerin. Es war wunderbar. Aus einer anderen Welt. Ich stand. Lauschte. Und mir kamen Tränen. Dann war sie zu Ende. Senkte ihre Geige. Sah mich. Kam zu mir.

‘Warum weinst du?’ fragte sie mit sanfter Stimme.

Es war Alma Rosé, die Tochter des Konzertmeisters der Wiener Philharmoniker. Sie leitete die Lager-Kapelle.

‘Warum weinst du?’“

                     Auschwitz 1943/44

 

Mit diesen knappen, aber umso eindringlicheren Szenenbeschreibungen wie ihrer zufälligen und bewegenden Begegnung mit der jüdischen Geigerin Alma Rosé in dem Konzentrationslager Auschwitz spürt Charlotte Tetzner in ihrem Text ihrer Biografie nach. 1941 wird die 21jährige Charlotte Tetzner, zusammen mit ihrem Vater und ihrer Mutter, verhaftet. Ihr Vater ist Kroate. Mit dem Kriegsbeginn des Deutsches Reiches gegen Kroatien werden die Tetzners als Ausländer betrachtet und interniert. Zudem ist ihr Vater Mitglied der KPD. Zusammen mit ihrer Mutter kommt Charlotte Tetzner in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Der Vater wird in Dachau interniert.

Charlotte und ihre Mutter erhalten in Ravensbrück den roten Winkel. Sie gelten als politische Häftlinge. Im Sommer 1941 erhalten die beiden Frauen die Nachricht, dass der Ehemann und Vater in Dachau verstorben ist. Die Mutter bricht zusammen, Charlotte versinkt in tiefer Trauer.

In dieser Haft in Ravensbrück lernen sie die Zeuginnen Jehovas kennen. Hören ihre religiösen Auffassungen. Sie finden Trotz und eine neue Hoffnung.

Als gegen Ende 1941 beide Frauen entlassen werden sollen, verweigert Charlotte die Unterschrift unter eine nur für die Zeugen Jehovas geltende Verpflichtungserklärung. Offenbar hat man von Seiten der Lagerleitung bemerkt, dass sie viel Zeit mit den so genannten Bibelforscherinnen verbracht hatten und sehen sie – trotz des roten Winkels – als Zeuginnen Jehovas an. Während die Mutter entlassen wird, beginnt für Charlotte ein Leidensweg durch die diversen nationalsozialistischen Konzentrationslager.

 In Auschwitz näht sich Charlotte bei ihrer Ankunft einen Lila-Winkel, dem Zeichen der Nationalsozialisten für die Zeugen Jehovas in den KZ. Sie dokumentiert damit ihre nunmehrige Zugehörigkeit zu dieser Häftlingsgruppe.

 Mit der Auflösung des KZ Auschwitz beginnt ein sich scheinbar endlos und ziellos hinziehender Todesmarsch und eine Irrfahrt durch die diversen Konzentrationslager: Groß-Rosen, Mauthausen, Bergen-Belsen, Mittelbau Dora. Gehetzt, getrieben stranden die Häftlinge schließlich im Harz, als das „Dritte Reich“ zum Stillstand kommt.

 Die „Befreiung“ ist jedoch nur von kurzer Dauer. Wohnhaft in der DDR, beginnt für Charlotte kurze Zeit später ein erneutes Versteckspiel. Ihr Mann, der Zeichner und Grafiker Heinz Tetzner, wird wegen seiner Kunstauffassung verfemt. Der Sohn muss ins Zuchthaus, weil er den Kriegsdienst verweigert. Die Familie leidet unter den finanziellen Einschränkungen. Zudem droht jederzeit die Inhaftnahme wegen ihrer Glaubensauffassung. Die Zeugen Jehovas sind in der DDR verboten. Nach 1989 lesen beide in ihrer Stasi-Akte die Spitzelberichte über die ‘geheimen Zusammenkünfte’ in ihrem Haus nach.

Über diese Zeit verfasste Charlotte Tetzner einen intensiven, konzentrierten Text. Mit wenigen Worten skizzierte sie ihre Eindrücke in den Konzentrationslagern. Es ging ihr bei dieser Arbeit nicht um möglichst detailgetreue Wiedergabe des Geschehens, sondern um einen expressiven Ausdruck ihrer Erinnerungen.

Ihr Mann, mittlerweile ein anerkannter Künstler, unterstreicht eindringlich den Text seiner Frau mit den Mitteln seiner Kunst: den Zeichnungen und Holzschnitten, die er zu einem Zyklus zusammenstellte. In ihnen sehen wir, was wir in dem Text seiner Frau lasen.

In dieser Kombination von Text und Zeichnungen und dem daraus entstandenen Buch des Ehepaars, wuchs ein Zeugnis von enormer Eindringlichkeit und Ausdruckskraft. Es stellt einen außerordentlichen Beitrag der autobiografischen Memoirenliteratur und Kunst zum Holocaust dar.

Der Text wurde von dem Historiker Dr. Hans Hesse für die Publikation bearbeitet und mit einem Aufsatz versehen, der dem Leser die notwendigen Hintergrundinformationen liefert. Die Arbeiten Heinz Tetzners werden von einem Aufsatz der Kunsthistorikerin und Direktorin der Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln, Dr. Elke Purpus, begleitet und kommentiert.

Über das druckgrafische Werk Heinz Tetzners verfassten Hesse/Purpus ein Band mit dem Titel “Geschriebenes”.

Literaturverzeichnis zu “Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas”

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